Vor einem Jahr erhielten Esther Duflo und Abhijit Banerjee für ihre Forschung über die Armut den Wirtschaftsnobelpreis. Heute sind ihre Thesen gefragt wie nie: Sie erklären, wie das Virus die ärmsten Länder trifft – und wie es unsere Sicht auf den Staat verändert
(Capital.de, 16.10.2020, mit Horst von Buttlar)
Abhijit Banerjee und Esther Duflo lehren an der US-Elitehochschule MIT und arbeiten dort seit bald 20 Jahren gemeinsam in der Armutsforschung. Duflo ist geborene Französin, Banerjee Inder, beide haben heute auch die US-Staatsbürgerschaft. Schon vor dem Nobelpreis 2019 zählte das Duo zu den einflussreichsten Ökonomen weltweit.
CAPITAL: Frau Duflo, Herr Banerjee, Sie sind für Ihre Arbeit im Kampf gegen die Armut bekannt, dafür haben Sie 2019 den Wirtschaftsnobelpreis erhalten. Welche Folgen hat die Pandemie für diesen Kampf?
ABHIJIT BANERJEE: Es ist eine Katastrophe. Zunächst legt die Pandemie die Volkswirtschaften lahm. Dazu lähmt sie aber auch das wirtschaftliche Denken in vielen Ländern. Die Politiker dort wollen zwar die Folgen der Pandemie bekämpfen. Aber sie wissen nicht, wie. Viele arme Länder stehen ein bisschen da wie ein Hirsch im Scheinwerferlicht.
Werden sie also auf lange Sicht noch ärmer?
Banerjee:Nicht unbedingt. Ich denke, dass sich die Wirtschaft weltweit wieder erholt. Die Länder kehren dann wahrscheinlich relativ schnell wieder auf den jeweiligen Wachstumspfad zurück, auf dem sie schon vor der Krise waren.
Das klingt optimistisch.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Der wirtschaftliche Verlust mag erheblich sein, aber eben nicht von großer Dauer. Wie schnell es wieder aufwärts geht, hängt davon ab, wie gut die politischen Entscheidungsträger auf diese Krise und deren Folgen reagieren.
Was können denn Politiker in diesen Ländern überhaupt tun? Der Shutdown in Südafrika etwa hatte verheerende Auswirkungen. Einen zweiten Shutdown können sich viele Länder kaum leisten.
ESTHER DUFLO: Die Verbreitung des Virus ist in vielen armen Ländern – wenn man von Ländern mit ohnehin mittlerem Einkommen wie Brasilien und Indien einmal absieht – ziemlich gering. Besonders die afrikanischen Länder sind bisher glimpflich
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