Ulrike Malmendier ist neu im Sachverständigenrat der sogenannten Wirtschaftsweisen. Sie will, dass der Rat aktiver in die Bundespolitik eingebunden wird. Wie das gehen soll, erklärt sie im Interview
(Capital+, 09.11.2022)
Capital: Frau Malmendier, Sie sind im September zum Sachverständigenrat gestoßen. Nun haben Sie zum ersten Mal am Jahresgutachten mitgearbeitet. War es so, wie Sie erwartet hatten?
ULRIKE MALMENDIER: Nein. Es war vielmehr wie das Arbeiten an Forschungspapieren, gar nicht so weit weg von der Wissenschaft. Das hat mir direkt gefallen.
Haben Sie denn den Eindruck, dass das, was Sie jetzt geschrieben haben, auch von den Politikern gelesen wird? Daran hatten Sie in der Vergangenheit öfter Ihre Zweifel geäußert.
Noch ist es zu früh, das zu sagen. Aber ich habe nach wie vor meine Zweifel. Ich glaube kaum, dass so ein langes Jahresgutachten von den relevanten Politikern und Mitarbeitern auf der obersten Ebene in den Ministerien komplett gelesen wird. Aber genau die wollen wir ja erreichen!
Das letzte Gutachten war fast 500 Seiten stark und voll mit Fachbegriffen. Da fehlt einigen sicherlich die Zeit, anderen schlicht der ökonomische Sachverstand.
Eben. Deswegen haben uns dieses Jahr viele Gedanken gemacht, wer eigentlich unser Zielpublikum ist, und wie wir es erreichen können. Da war schnell klar: Die Kurzfassung und die Pressemitteilung sind wahrscheinlich deutlich relevanter als das, was wir auf Seite 597 in Zeile 17 geschrieben haben. Mit gezielten, kürzeren Gutachten könnten wir Politikern wahrscheinlich besser helfen, ökonomisch sinnvolle Entscheidungen zu treffen.
Warum?
Das fängt schon damit an, dass das Jahresgutachten Anfang des Jahres geplant wird. Man überlegt sich die Themen, schreibt eine erste, zweite, dritte Fassung. Dieses Jahr haben wir ein Kapitel zum Energiemarkt drin. Hätten wir das im letzten November im Jahresgutachten geschrieben, wäre es im Frühjahr schon völlig überholt gewesen. Im Herbst 2021 hatte Putin gerade angefangen, die Gasexporte zu drosseln. Im Frühjahr hatten wir den Ukraine-Krieg. Wir müssen in solchen Situationen regelmäßig schneller reagieren können, wie es das etwa mit dem Corona-Sondergutachten schon einmal gegeben hat.
Gibt es denn die Kapazitäten für mehrere Gutachten im Jahr? Eigentlich muss der Rat ja nur dieses eine Jahresgutachten schreiben.
Ich sage jetzt nicht, dass der Stab dreimal so viel arbeiten soll. Wir müssen aber ändern, wie wir arbeiten, wenn wir uns bei den Politikern mehr Gehör verschaffen wollen. Das ist nicht nur in Deutschland schwer. Ich habe mit einigen Kollegen aus den USA gesprochen, die dort im Council of Economic Advisors waren, der direkt den Präsidenten berät. Wenn die später die Spitzenpolitiker fragen, was mit ihren Gutachten passiert, sagen die anscheinend auch oft ‚Ablage P‘.
Haben die Kollegen ihnen auch gesagt, wie sich das verhindern ließe?
Mein Berkeley-Kollege Maurice Obstfeld sagte, das beste Jahresgutachten sei eines gewesen, in dem sie alle zeitnahen Gutachten, die sie über das Jahr geschrieben hatten, einfach zusammengefasst haben. So könnte man es in Deutschland im Wesentlichen auch machen.