Ein Staat mit eigener Währung kann nicht zahlungsunfähig werden, sagen Vertreter der Modern Monetary Theory. Doch wie soll das funktionieren?
(Capital+, 30.11.2020)
Die globalen Schulden steigen derzeit auf neue Höchststände. Finanzminister Olaf Scholz plant für 2020 mit einem Rekorddefizitdefizit von 218 Mrd. Euro. Die USA haben allein bis Oktober 3,1 Billionen US-Dollar Miese gemacht. Da stellen sich viele die Frage, wer die Schulden je bezahlen soll. Die Ökonomin Stephanie Kelton hat darauf eine verlockende Antwort. „Für Staaten, die ihre eigene Währung haben, ist die Zahlungsfähigkeit grenzenlos“, sagte sie im Capital-Interview.
Die Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Stony Brook Universität in den USA und ehemalige Beraterin des demokratischen US-Senators und ehemaligen Präsidentschaftsbewerbers Bernie Sanders nimmt damit nicht nur vielen Menschen die Angst vor hohen Staatsschulden. Sie eröffnet Politikern ganz neue Möglichkeiten. Der Staat könnte ohne Geldsorgen schließlich Ideen wie einen Green New Deal und eine Job-Garantie für alle finanzieren. Und das, ohne den Menschen das Geld durch Steuern vorher wegzunehmen. Er könne es einfach selber drucken.
Was nach unhaltbaren Versprechen klingt und gerade bei Deutschen wohl die Inflations-Alarmglocken läuten lässt, rechtfertigt Kelton mit den Ideen der modernen Geldtheorie, auch Modern Monetary Theory (MMT) genannt. Wenig verwunderlich, dass sie derzeit weltweit an Popularität gewinnt.
Doch wie soll das gehen? Die meisten Ökonomen sind sich einig, dass Staaten nur begrenzt Geld ausgeben können. Sie müssen sich schließlich früher oder später verschulden. Je höher die Staatsschulden wachsen, desto stärker steigen die Zinsen auf diese Schulden. Sind diese langfristig höher als das Wirtschaftswachstum, wächst der Schuldenberg immer weiter. Irgendwann ließe sich das Ganze nicht mehr finanzieren, der Staat würde zahlungsunfähig.
MMTler sehen das anders. Zumindest ein Staat mit eigener Währung könne nicht zahlungsunfähig werden. Sie erklären das mit der Funktionsweise moderner Geldsysteme.
Die funktionieren nach allgemein geläufiger Sicht genauso wie nach MMT-Sicht grob so: Es gibt es zwei Arten Geld. Das Geld auf den Bankkonten von Unternehmen und Privaten schöpfen Geschäftsbanken wie die Deutsche Bank oder die Commerzbank. Diese dürfen das elektronische Geld jedoch nur herausgeben, weil sie ihren Kunden versprechen, dass die es jederzeit gegen Bargeld eintauschen können. Um ihr Versprechen zu halten, benötigen die Geschäftsbanken vereinfacht gesagt einen Teil des Geldes auf den Konten als Bargeld oder ein Anrecht auf Bargeld, das sogenannte Zentralbankgeld. Das bekommen sie von der Zentralbank. Die Zentralbanken geben ihr Geld aber nur gegen Sicherheiten heraus. Eine Staatsanleihe ist so eine Sicherheit.
Durch die massiven Ausgabenprogramme der Staaten seit Beginn der Corona-Pandemie haben Staaten eine riesige Menge neuer Staatsanliehen ausgegeben, um hunderte Milliarden schwere Konjunkturpakete zu finanzieren. Geschäftsbanken haben die Staatsanleihen gekauft. Und die jeweiligen Zentralbanken haben ihnen die Staatsanleihen über Anleihekaufprogramme wiederum abgekauft und so neues Geld in die Welt gebracht. Über Umwege finanzieren die Zentralbanken also schon einen Teil der Staatsausgaben.
Die Notenbanken sorgen durch die Käufe dafür, dass die Zinsen auf Staatsanleihen sinken und die Staaten sich weiter günstig verschulden können. Die heutige Situation ist also eine Ausnahme.
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