Inflation: Wie hoch geht’s noch?

16. September 2024 Reportagen & Porträts Comments (0) 213

Die Inflationsrate liegt so hoch wie seit 28 Jahren nicht mehr. Das Beispiel eines Berliner Elektrohändlers zeigt, wo das Problem liegt
(Capital 12/2021)

Ein paar Klicks genügten – dann würde hier alles teurer. Der Fernseher von Loewe, der Liebherr-Kühlschrank, ja sogar der Brita-Wasserfilter. Die Produkte stehen in den Regalen des Elektrofachgeschäfts Tonhaus Melodie in Berlin, neben ihnen die Preisschilder: kleine Bildschirme in weißen Plastikrahmen, direkt mit den Geschäftscomputern verbunden. Und an denen steht Jan Pankrath, der Inhaber – und Herr der Preise.

Nein, sagt Pankrath, während er durch die Preislisten am Computer scrollt, normalerweise klicke er sie nicht oft hoch. Mal gebe es ein Sonderangebot, mal senke ein Hersteller den Preis für ein Auslaufmodell und erhöhe ihn für ein anderes. Das gebe er dann weiter. Doch in den vergangenen Monaten schickte ein Hersteller nach dem anderen neue Listen. „Die wollen zwischen drei und zehn Prozent mehr als letztes Jahr“, sagt er. Also musste er auch die Preise in seinem Laden erhöhen.

Was sich in Pankraths Geschäft tut, lässt sich mittlerweile in ganz Deutschland beobachten: Die Preise steigen wieder. Bei den meisten Elektroartikeln waren die Anstiege bisher moderat, an den Tankstellen dafür rasant. In einer ersten Schätzung beziffert das statistische Bundesamt die durchschnittlichen Preissteigerungen gegenüber dem Vorjahresmonat im Oktober auf 4,5 Prozent – ein Rekordwert, so hoch wie seit 28 Jahren nicht mehr.

Die Frage ist: Bleibt das so? Oder geht es sogar noch höher? Und woher kommt die plötzliche Inflation eigentlich? Während zwei Drittel der Deutschen laut einer Civey-Umfrage sicher sind, dass die Inflation weiter steigen wird, geben sich die meisten Ökonomen gelassen. „Vereinfacht ausgedrückt ist die Inflation heute vor allem deshalb so hoch, weil sie im Vorjahr so niedrig war“, sagte zuletzt etwa das EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel vor Unternehmern in Baden-Baden. Unaufgeregter geht es kaum. Doch wer genau verstehen möchte, was die Inflation in die Höhe getrieben hat und wie sie sich in Zukunft weiterentwickeln könnte, kann das in Pankraths Elektrogeschäft gut beobachten.

Das letzte Mal, als Pankrath auf einen Klick alle Preise änderte, war im Juli 2020. „Bei uns herrschte damals noch so eine Art Sonderkonjunktur“, sagt er. Mit den ersten Lockdowns hatten die Menschen begonnen, sich zu Hause zu verkriechen. Sie bestellten immer mehr beim Tonhaus Melodie, vor allem online: große Kühlschränke, die besten Herde, Verstärker fürs Heimkino. „Die Leute wollten es sich zu Hause schön machen“, sagt Pankrath.

Doch er erhöhte die Preise nicht, er senkte sie. Denn: Während die Lockdowns das Elektrogeschäft beflügelten, litten andere Unternehmer unter ihren Folgen. Die Deutschen kauften so wenig ein, dass die Bundesregierung zwischen Juli und Dezember 2020 die Mehrwertsteuer von 19 auf 16 Prozent senkte. Die Idee: Günstige Preise sollten die Menschen zum Shoppen bringen. Auch bei Pankrath. Also setzte er seine Preise ebenfalls runter – obwohl er es gar nicht nötig hatte.

Wenn Pankrath die Bewegung der Preise zeigen will, greift er in ein Regal hinter der Kasse und holt ein graues Telefon hervor mit großen Tasten. Das Gigaset E260. „Ein klassisches Festnetztelefon“, sagt Pankrath. Er öffnet ein Programm am Computer, in dem alle Verkäufe eingetragen sind. Dort sieht man: Am 4. September 2019 ging das Telefon für 99 Euro über die Theke, am 11. September 2020 nach der Mehrwertsteuersenkung für 96,50 Euro, im September 2021 für 99,90 Euro. Das Telefon wurde also zwischen 2019 und 2020 2,5 Prozent günstiger, zwischen 2020 und 2021 dafür circa 3,5 Prozent teurer. Ohne die Mehrwertsteuerdelle beträgt der Preisanstieg aber nur ein Prozent.

Wenn Volkswirte wie Schnabel sagen, dass die Inflation vor allem deshalb so hoch sei, weil sie im Vorjahr so niedrig lag – dann meinen sie auch diesen Effekt. Die großen Wirtschaftsforschungsinstitute schätzten in ihrer Gemeinschaftsdiagnose im Oktober, dass die Inflationsrate zwischen Juli und Dezember 2021 allein durch die Mehrwertsteuer einen Prozentpunkt höher war als im Vorjahr. Viel wichtiger aber: Fällt der Effekt ab Januar weg, sollte die Inflation wieder um einen Prozentpunkt sinken.

Den gesamten Text gibt es hier bei Capital