Die Ökonomin Kerstin Bernoth hält die Inflation für ein vorübergehendes Phänomen – wenn die Menschen nicht mit ihrer Angst dafür sorgen, dass sie weiter steigt
(Stern 44/2021)
Stern: Frau Bernoth, die Inflation ist derzeit auf einem Rekordstand. Warum ist das so?
Kerstin Bernoth: Der wichtigste Faktor sind die Energiepreise. Vergangenes Jahr sind sie stark eingebrochen. Jetzt haben sie sich erholt. Weil wir die Inflation berechnen, indem wir die Preise dieses Jahres mit denen des Vorjahres vergleichen, sorgt das Runter-und-Rauf dafür, dass die Inflation so hoch ist.
Wird das denn so weitergehen?
Wer mit Öl und Gas handelt, setzt für 2022 auf gleichbleibende Preise. Das würde für eine geringere Inflation sprechen .
Und was könnte sie erhöhen?
Der Staat und wir, unser Konsum.
Was konsumiert der Staat?
Der investiert und zahlt Konjunkturhilfen an Unternehmen und Haushalte, um der Wirtschaft aus der Rezession zu helfen. Wenn wir gar nicht mehr so tief in der Rezession stecken, dann kann dieses Geld vom Staat aber auch die Nachfrage nach knappen Ressourcen erhöhen und die Preise steigern. Wenn der Staat die Unterstützungsmaßnahmen zügig zurückfährt, wird das aber keinen Inflationsdruck ausüben. Also eine Frage des Timings.
Und was ist mit privaten Ausgaben?
Wir konnten während der Pandemie nicht ins Restaurant, ins Theater oder in den Urlaub fahren. Die Leute sitzen auf riesigen Ersparnissen. Wenn sie dieses Geld nun zügig ausgeben, trifft eine hohe Nachfrage auf ein knappes Angebot. Die Preise steigen.
Meinen Sie, dass das passiert?
Ich fahre nicht zweimal in Skiurlaub, nur weil ich letztes Jahr nicht fahren konnte, sondern leiste mir vielleicht eher ein Hotel, das ein bisschen teurer ist. Außerdem schätze ich, dass vor allem Haushalte mit hohem Einkommen mehr gespart haben. Die geben zusätzliches Geld aber nicht so schnell aus, sie investieren es eher. Der private Konsum wird also eher einen mäßigen Inflationsschub auslösen.