LSE-Makroökonom Ricardo Reis: „Wir hätten eine Inflation von vier bis fünf Prozent haben können“

16. September 2024 Interviews Comments (0) 176

Ökonom Ricardo Reis ist Professor für Makroökonomie an der London School of Economics (LSE). Zuletzt machte er mit einem Aufsatz auf sich aufmerksam, in dem er vier Fehler aufzählt, die Zentralbanken seit dem vergangenen Jahr gemacht haben und die zur hohen Inflation beigetragen haben. Er ermahnte Zentralbanken schon im Sommer 2021, die Zinsen zu erhöhen. Im Interview verrät er, wie das die Inflation aufgehalten hätte – und was Zentralbanken jetzt noch tun können, damit die Teuerung nicht aus dem Ruder läuft

(Capital+, 06.09.2022, mit Stefan Schaaf)

Capital: Herr Reis, die Inflation in der Eurozone ist mit mehr als neun Prozent auf einem Rekordhoch. Wie schnell können wir wieder zur Normalität, also einer Inflation von um die zwei Prozent, zurückkehren?

RICARDO REIS: Sicher nicht in sechs Monaten. Vielleicht dauert es 18 Monate, vielleicht 24.

Wovon hängt das ab?

Vor allem davon, wie die EZB jetzt handelt. Sie muss schnell sein. Sie muss ihre Glaubwürdigkeit wiederherstellen und sie muss auf die gestiegenen Inflationserwartungen der Menschen mit höheren Zinsen reagieren. Bis die Inflation dann sinkt, dauert es aber etwas. Es wird also eine Phase mit hoher Inflation und hohen Zinsen geben, bevor die Inflation endlich zurückgeht. Das wird schmerzhaft sein. Wir können aber hoffen, dass die Energiepreise in den kommenden 24 Monate etwas fallen. Dann sind wir vielleicht bald wieder in einer Welt, in der wir eine Inflation von zwei Prozent haben, vielleicht sogar weniger.

Könnte die Inflation denn dann dauerhaft niedrig bleiben?

Ich bin da optimistisch. Die EZB hat eingesehen, dass sie in den vergangenen Monaten zu wenig getan hat, um die Inflation im Zaum zu halten. Jetzt aber hat sie angefangen, ihren Kurs zu ändern. Sie hebt die Zinsen an. Wenn sie den Kurs nun hält, könnten wir in zwei Jahren wieder eine Inflation von zwei Prozent haben. Aber wenn die Zentralbank die Kontrolle über die Inflation verliert, dann wird es zu einer Stagflation kommen.

Also einer Periode ohne Wirtschaftswachstum aber mit hoher Inflation.

Genau. Das könnte passieren, wenn wir jetzt nicht schnell genug reagieren. Wenn wir die Inflation aber in den Griff bekommen, machen wir uns vielleicht bald wieder Sorgen um eine Deflation machen, also sinkende Preise. Das wird aber erst in zwei oder drei Jahren so weit sein.

Lange ist die EZB ja davor zurückgeschreckt, die Zinsen anzuheben. Werden höhere Zinsen nicht auch Schaden anrichten?

Natürlich. Zunächst einmal findet eine gewisse Umverteilung statt. Unmittelbar leiden diejenigen, die Kredite aufnehmen. Sie müssen höhere Zinsen zahlen. Wer hingegen spart, profitiert. Aber mit steigenden Zinssätzen könnte sich auch die Arbeitsmarktlage verschlechtern. Die gesamte Nachfrage fällt ja. Diejenigen, die Pech haben, werden ihren Arbeitsplatz verlieren.

Ganzes interview hier auf Capital+