Die EZB hat angekündigt, die Zinsen weiter zu erhöhen, um die Inflation im Zaum zu halten. Doch das könnte auch die Rezession befeuern. Gehen die Zentralbanker womöglich zu weit?
(Capital.de, 16.09.2022)
Sprit für mehr als 2 Euro je Liter, immer höhere Abschlagszahlungen für Strom und Gas und Kebab zum Wiener-Schnitzelpreis lassen mittlerweile so ziemlich jeden in Deutschland die hohe Inflation spüren. Ökonomen prognostizieren, dass sie Anfang kommenden Jahres schon bei elf Prozent liegen könnte. Da scheint es nur konsequent, wenn EZB-Chefin Christine Lagarde fordert, „wir müssen mit den Anhebungen fortfahren“, und nach der letzten Zinserhöhung bald weitere Zinsschritte in Aussicht stellt.
Denn in der Theorie funktioniert Geldpolitik genau so: Zinsen rauf, Inflation runter; Zinsen runter, Inflation hoch. Die Logik ist simpel: Bei höheren Zinsen gibt es weniger Kreditanträge und mehr Anreize zu sparen. Also kaufen und investieren Menschen und Unternehmen weniger. Die Preise steigen nicht weiter. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verzichten auf hohe Gehaltsforderungen. Dann müssen Unternehmen auch ihre Preise nicht anheben. Wenn es so läuft, sind Zinsschritte das Heilmittel gegen die Inflation.
Preise können trotz höherer Zinsen steigen
Trotzdem sind Ökonomen dieser Tage gespaltener Meinung, wie weit die EZB mit ihren Zinsschritten gehen sollte. Ricardo Reis von der London School of Economics etwa warnte schon Ende 2021, dass die Inflationserwartungen steigen, ein Vorbote höherer Löhne und Preise. „Wir hätten bei vier bis fünf Prozent Inflation sein können“, sagt Reis. Nur habe die EZB vergangenes Jahr noch nicht reagiert. Jetzt sei sie auf dem richtigen Weg.

Genauso würden höhere Zinsen den Euro stärken. „Wenn die Zinsen im Euroraum relativ zu denen im Dollarraum steigen, lässt das tendenziell auch den Wechselkurs des Euro gegenüber dem Dollar steigen“, sagte der ehemalige Wirtschaftsweise und Professor für Monetäre Ökonomie an der Uni Frankfurt, Volker Wieland, am Mittwoch im Gespräch mit der FAZ. Viele Güter, insbesondere Öl werden schließlich in Dollar gehandelt. Ein schwacher Euro führt so dazu, dass Europa einen Teil der Inflation importiert. Denn durch einen schwachen Euro, werden mehr Euro pro Liter Öl fällig, auch wenn der Preis des Rohstoffes in Dollar unverändert bleibt.
Nur gibt es derzeit ein großes Problem, auf das Ökonomen ebenso hinweisen: Die Preise könnten trotz weiterer Zinsschritte weiter steigen. Denn Energie bleibt teuer, auch wenn die Nachfrage etwas zurückgeht. Gas, Benzin und Strom sind schließlich nicht nur deswegen teuer, weil in Europa so viel davon nachgefragt wird, sondern vor allem, weil Russland als Energielieferant ausgefallen ist. An den hohen Preisen wird sich in den kommenden Monaten also kaum etwas ändern.
In Deutschland haben viele Verbraucher sogar noch gar nicht mitbekommen, dass sich die Einkaufspreise für Gas vervielfacht haben. Denn Versorger können die gestiegenen Preise nur langsam an ihre Kunden weitergeben. In Zukunft aber werden sie es mehr und mehr tun.

Von höheren Reallöhnen ist nichts zu sehen
„Energie macht fast zehn Prozent des Warenkorbs in den Eurostaaten aus“, sagt Stefan Gerlach, Chefökonom der EFG-Bankengruppe und ehemaliger Vizepräsident der Bank of Ireland. Wenn der Energiepreis wie von Mai 2020 bis Juli 2022 um 63 Prozent steige, führe das zu einer hohen Inflation, ohne dass die EZB etwas dagegen tun könne. „Hätten wir vergangenes Jahr die Zinsen erhöht, dann hätte das zu geringeren Preisen führen können“, sagt Gerlach. Aber damals hätte man die wegen des Ukrainekriegs steigenden Preise noch gar nicht vorhersehen können. Außerdem sei die Angst vor hohen Inflationserwartungen übertrieben: „Die Inflationserwartungen sind hoch, aber nur für ein paar Jahre.“
Der Ökonom Jens Südekum von der Universität Düsseldorf sieht ebenfalls in den derzeit erhöhten Inflationserwartungen kein großes Problem. „Am Ende geht es doch darum, dass sich die Erwartungen auch in höheren Löhnen und Preisen niederschlagen. Doch davon sehe ich gar nichts“, sagt Südekum. Zwar gehe die IG Metall mit Forderungen von acht Prozent in die Lohnverhandlungen, doch dann käme man höchsten bei vier bis fünf Prozent höheren Löhnen raus. Bei knapp acht Prozent Inflation ergebe sich also immer noch ein Reallohnverlust. „In anderen Euroländern wie Italien ist gar nichts von höheren Löhnen zu sehen“, so Südekum.
Auch Gerlach und Südekum sprechen sich für Zinserhöhungen aus. Nur müssten diese im Rahmen bleiben. „Die EZB will ja zeigen, dass sie die Inflation ernst nimmt“, sagt Südekum. Und sie werde auch die Inflation abseits der Energiepreise etwas dämpfen. „Doch Geldpolitik wirkt oft erst nach einem Jahr. Vielleicht wirken die Zinserhöhungen erst auf die Inflation, wenn die Energiepreise ohnehin schon wieder sinken.“
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