Die Ampel-Koalition plant große Investitionen – unter anderem in Infrastruktur, Digitalisierung und Klimaschutz. Doch die Finanzlage des Bundes lässt dafür wenig bis gar keinen Spielraum. Ökonomen machen Vorschläge, wie die Schuldenbremse zu umgehen ist.
(n-tv.de, 23.10.2021)
Nur drei Wochen nach der Bundestagswahl sind sich die drei ehemaligen politischen Kontrahenten offenbar so einig wie nie. So zumindest wirkte es, als Vertreter der Parteispitzen von SPD, Grünen und FDP am Freitag das Ergebnis ihrer Sondierungsgespräche vorstellten. Man stimme darin überein, dass “Deutschland einen Aufbruch braucht” und fühle sich gemeinsam “dem Fortschritt verpflichtet”, heißt es im gemeinsamen Sondierungspapier. Olaf Scholz spricht schon vom “größten industriellen Modernisierungsprojekt seit wahrscheinlich über 100 Jahren”.
Dazu gehören ein höherer Mindestlohn, ein unbedingtes Bekenntnis zum 1,5-Grad-Ziel für Deutschland, ein gesichertes Rentenniveau sowie Zukunftsinvestitionen in Klimaschutz, Digitalisierung, Bildung und Forschung sowie die Infrastruktur.
Das treibt viele Ökonomen zu optimistischen Kommentaren. Ifo-Chef Clemens Fuest nannte das Papier in einem Interview mit dem “Handelsblatt” bemerkenswert. “In fast allen Kapiteln des Papiers zeigt sich die klare Priorität der Sondierer: Klimaschutz, Digitalisierung und Förderung privater und öffentlicher Investitionen”, so Fuest. Marcel Fratzscher, Präsident des Berliner DIW, sekundierte: Das Sondierungspapier sei “ein vielversprechender erster Schritt”, die Pläne nennt er “klug und ambitioniert”.
Investitionen sind notwendig, aber die Finanzierung ist unklar
Dass Fratzscher das Sondierungspapier so kommentiert, ist nicht verwunderlich. Er war einer der ersten Ökonomen, die schon vor Jahren mehr öffentliche Investitionen in Deutschland forderten. Die Forscherkollegen Michael Hüther vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) und Sebastian Dullien von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung schätzten 2019 dann den Bedarf an öffentlichen Investitionen auf 450 Milliarden Euro, verteilt über zehn Jahre. Unter Ökonomen herrscht nahezu Einigkeit, dass die Investitionen steigen müssen.
Doch längst geht es nicht mehr nur um bröckelnde Autobahnbrücken, sondern auch um Investitionen in die Ladeinfrastruktur für E-Autos, Steuererleichterungen für die Förderung grüner Investitionen von Unternehmen und mehr. Eine aktuelle Studie der Denkfabrik Agora Energiewende kommt zu dem Ergebnis, dass der Bund jedes Jahr 30 Milliarden Euro Bundesmittel für die Energiewende aufwenden müsste, um das für 2030 gesetzte Ziel von 65 Prozent Treibhausgasreduktion gegenüber 1990 zu erreichen.
Unklar ist, wie sich all das finanzieren lässt. Denn aus dem Sondierungspapier ergibt sich nicht, wo SPD, Grüne und FDP für die neuen Ausgaben an anderer Stelle sparen wollen. Neue Steuern wie die Vermögenssteuer sind vom Tisch, mit wesentlich höheren Einnahmen durch den Fiskus lässt sich nicht rechnen. So könnte es bei den geplanten Investitionen entweder bei einem bloßen Versprechen bleiben – oder die Parteien müssen kreativ werden, um neue Schulden aufzunehmen.