Inflation: Wie hoch geht’s noch?
Die Inflationsrate liegt so hoch wie seit 28 Jahren nicht mehr. Das Beispiel eines Berliner Elektrohändlers zeigt, wo das Problem liegt
(Capital 12/2021)
Ein paar Klicks genügten – dann würde hier alles teurer. Der Fernseher von Loewe, der Liebherr-Kühlschrank, ja sogar der Brita-Wasserfilter. Die Produkte stehen in den Regalen des Elektrofachgeschäfts Tonhaus Melodie in Berlin, neben ihnen die Preisschilder: kleine Bildschirme in weißen Plastikrahmen, direkt mit den Geschäftscomputern verbunden. Und an denen steht Jan Pankrath, der Inhaber – und Herr der Preise.
Nein, sagt Pankrath, während er durch die Preislisten am Computer scrollt, normalerweise klicke er sie nicht oft hoch. Mal gebe es ein Sonderangebot, mal senke ein Hersteller den Preis für ein Auslaufmodell und erhöhe ihn für ein anderes. Das gebe er dann weiter. Doch in den vergangenen Monaten schickte ein Hersteller nach dem anderen neue Listen. „Die wollen zwischen drei und zehn Prozent mehr als letztes Jahr“, sagt er. Also musste er auch die Preise in seinem Laden erhöhen.
Was sich in Pankraths Geschäft tut, lässt sich mittlerweile in ganz Deutschland beobachten: Die Preise steigen wieder. Bei den meisten Continue Reading
Schmeckt das? Fleisch aus der Petrischale
Die Menschheit müsste weniger Fleisch essen. Oder das Fleisch neu erfinden. Start-ups wie SuperMeat aus Israel züchten es im Labor
(Capital 10/2021 mit Zulieferung aus Israel von Mareike Enghusen)
Es war ihr erster Burger seit mehr als 20 Jahren. Chaya Beili, 61-jährige Israelin, Tierschutzaktivistin und überzeugte Veganerin, blickt auf die Krümel auf ihrem Teller. Mehr ist nicht übriggeblieben von ihrem Chicken-Burger. „Lecker“, sagt Beili. Allein das Aroma habe sie am Anfang etwas irritiert. „Das ist wirklich der Geruch von Hühnerfleisch.“
Dass Hühnchen nach Hühnchen riecht, ist keine Selbstverständlichkeit in diesem Restaurant in Rehovot, einer Stadt südlich von Tel Aviv. Zwar nennt sich der Laden The Chicken. Doch das Fleisch, das hier zwischen Brötchenhälften und als Füllung vietnamesischer Frühlingsrollen serviert wird, stammt nicht von toten Tieren, sondern aus einem Edelstahltank im Nebenraum. Continue Reading
Inflation?
Alles wird teurer, die Preise steigen so schnell wie seit Jahrzehnten nicht. Das macht Angst. Aber es gibt Hoffnung, dass der Spuk vorbeigeht
(Stern Titelgeschichte 44/2021, mit Stefan Schmitz)
Das Schauma-Shampoo 7-Kräuter zeigt es, der Almette-Kräuterfrischkäse, die Milka-Schokolade Alpenmilch. Und erst der Liter Diesel. Das Gas. Das Heizöl. Alles, alles wird teurer. Und zwar richtig. Das ist das Gefühl in diesem Herbst. Selbst in der amtlichen Statistik kann man es ablesen: 4,1 Prozent lagen die Verbraucherpreise im September über denen des Vorjahresmonats – ein steilerer Anstieg als je zuvor in den vergangenen 28 Jahren.
Die Pandemie hat nicht nur unser Leben durcheinandergebracht, sondern auch so ziemlich alle Märkte. Obst- und Gemüsepreise hängen davon ab, ob Saisonarbeiter wie gewohnt nach Westeuropa kommen können. Energiepreise gehen durch die Decke, weil wieder nachgefragt wird, was im Lockdown weniger gebraucht wurde. Und es gibt, einst unvorstellbar in der globalisierten Welt, Lieferengpässe, die dazu führen, dass Fahrräder Mangelware werden und Kühlschrankproduktionen stillstehen. Continue Reading
Wer soll das bezahlen?
Wegen der Corona-Pandemie hat der Staat Rekordschulden gemacht. In den kommenden Jahren muss er riesige Summen investieren – in Infrastruktur, Gesundheit, den Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft. Wer soll das alles bezahlen?
(Capital Titelgeschichte 09/2021)
Mit Investitionen des Staates, nun, damit kennt sich Julian Leitloff aus. Denn mit ihnen hat er seine Unternehmen aufgebaut, drei insgesamt. Der 32-Jährige, ein junger Mann mit Dreitagebart und dunklen Haaren, geht durch einen Hinterhof in Berlin-Kreuzberg in sein Büro. Ein Rennrad, Telefonboxen, Computer, die übliche Start-up-Kulisse. Leitloff und sechs Mitarbeiter arbeiten hier für Fractal an digitalen Identitätsnachweisen auf Blockchain-Basis, die meisten sitzen in Porto in Portugal.
„Das Geld kommt von privaten und öffentlichen Investoren“, sagt Leitloff. Ohne die wäre es für ihn gar nicht möglich, das Unternehmen aufzuziehen. Sein erstes Unternehmen hat er schon mit 22 gegründet, als er noch zur Uni ging. Geld dafür bekam er von einer staatlichen Beteiligungsgesellschaft. „Wenn es so weitergeht, haben die ihr Geld mindestens verdoppelt“, sagt Leitloff. Doch nicht nur davon profitiert das Land. Leitloffs Unternehmen macht ordentlich Umsatz, zahlt Steuern. Zudem konnte der Unternehmer mit seinen Firmen immer wieder Talente aus aller Welt gewinnen.
Zu kurz gedacht
Fast nirgendwo sind so viele Menschen in Kurzarbeit wie in Pforzheim. Wie in einem Labor lässt sich besichtigen, was das Instrument kann: Es rettet Jobs. Doch werden auch Unternehmen durch die Krise geschleppt, die eigentlich keine Chance mehr haben
(Capital 12/2020)
An einem Wochenende Mitte März rufen die ersten Unternehmer Martina Lehmann an. Sie wollen wissen, wie sie in Zukunft noch ihre Mitarbeiter bezahlen sollen. Ausgerechnet von Lehmann. Seit mehr als vier Jahren leitet die 57-Jährige die Arbeitsagentur Nagold-Pforzheim. Vier Jahre, in denen sie selbst immer weniger Mitarbeiter beschäftigte, weil die Betriebe der Region immer mehr einstellten. Vier Jahre, an deren Ende, im März, die Arbeitslosigkeit hier bei 3,5 Prozent lag. Vier Jahre, in denen Unternehmen meist nur von ihr wissen wollten, wie sie genug Fachkräfte finden.
Doch plötzlich ist alles anders: Nachdem Baden-Württemberg in jenen Märztagen beschließt, wegen der Corona-Pandemie die meisten Geschäfte und Hotels dichtzumachen, sind viele verunsichert, wie es weitergehen soll. 700 weitere Anrufe erhält die Agentur am folgenden Montag. Um die Anfragen zu bearbeiten, verlängert Lehmann die Arbeitszeiten ihres Teams deutlich: von 6 Uhr morgens bis 22 Uhr kümmert sich immer jemand. Hunderte Male antworteten die Mitarbeiter den Anrufern das Gleiche: Sie sollten Kurzarbeitergeld beantragen.
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Die unermessliche Wichtigkeit des Kniehebelspanners
Lieferketten gelten seit der Corona-Krise als verletzlich und durcheinander – was aber heißt das konkret? An einem Bauteil der Autobranche erklärt Capital, was das Problem ist
(Capital 06/2020)
Der letzte Tag, an dem für Marian Okwieka die Globalisierung noch funktioniert, ist der 23. Januar 2020. Okwieka leitet beim Maschinenbauer Tünkers aus Ratingen den Einkauf, und Ende Januar wartet er auf Neuigkeiten zu einer dringenden Lieferung von 30.000 Bolzen aus China. Tünkers braucht bald Nachschub, die Bolzen sind ein notwendiges Bauteil für sogenannte Kniehebelspanner, ohne die wiederum die Autoindustrie nicht arbeiten kann. Die Bolzen sind zwar weitgehend produziert, aber noch in China, und der Lieferant meldet sich nicht mehr.
Stattdessen kommen dieser Tage aus China wenig beruhigende Nachrichten: In Wuhan verbreitete sich rasend schnell eine neue Lungenkrankheit. Vielleicht so gefährlich wie Sars, vielleicht mit Auswirkungen auf den internationalen Warenverkehr. Dazu nähert sich das chinesische Neujahr. „Und wenn die Neujahrsferien beginnen, sind die Chinesen nicht mehr zu erreichen“, sagt Okwieka. „Dann geht nichts mehr raus bis Anfang Februar.“
Da war Nichts
Der Hype um Bitcoin hat viele Betrüger angelockt. Der spektakulärste Fall: Anleger stecken mehr als 3 Mrd. Euro in die Kryptowährung einer Frau, die sich selbst „Cryptoqueen“ nannte. Ihr Onecoin entpuppt sich als weitgehend wertlosDer Hype um Bitcoin hat viele Betrüger angelockt. Der spektakulärste Fall: Anleger stecken mehr als 3 Mrd. Euro in die Kryptowährung einer Frau, die sich selbst „Cryptoqueen“ nannte. Ihr Onecoin entpuppt sich als weitgehend wertlos
(Capital 02/2020)
An einem Sommerabend 2016 tritt eine Königin auf die Bühne des Londoner Wembley-Stadions, um zu ihren Untertanen zu sprechen. Flammen schießen vor der Bühne empor, Alicia Keys’ Song „Girl on Fire“ wummert aus den Boxen. Eine korpulente Frau mit schwarzem Haar stolziert auf die Bühne, das Feuer erlischt, die Glitzersteine auf ihrem roten Kleid funkeln im Scheinwerferlicht. „Thank you“, sagt sie mit leichtem osteuropäischem Akzent, dann startet Dr. Ruja Ignatova, 36, Gründerin der Kryptowährung Onecoin , ihre Präsentation.
Der Auftritt, immer noch als Video im Netz zu finden, ist ein einziges Versprechen auf Glück und Wohlstand. „Über eine Million Händler weltweit werden Onecoin in zwei Jahren akzeptieren“, sagt Ignatova, die sich selbst die „Cryptoqueen“ nennt.< Continue Reading
Mr. Big Applause
Philipp Pausder hat noch nie eine Heizung installiert, aber er führt eine der größten Heizungsbaufirmen in Deutschland – mit ungewöhnlichen Methoden
(Die Zeit 05/2019)
Der Chef eines der größten Handwerksbetriebe für Heizungsbau in Deutschland spricht gern zweisprachig. “Welcome to the August 18 all employee meeting, herzlich willkommen! Heute geht es knackig los”, sagt Philipp Pausder. Er holt mit dem ganzen Arm aus, wirft ihn dann mit aller Kraft nach unten, um laut zu schnipsen. “Three things in three minutes. Ihr könnt mich clocken!” 150 Mitarbeiter sitzen vor ihm, schätzungsweise 80 Handwerker im Außendienst schauen aus der Ferne zu, über ihre Firmentablets.
Jeden Monat gibt es bei Thermondo so eine Konferenz für alle Mitarbeiter. Die versprochenen drei Minuten redet Pausder heute weiter im ständigen Wechsel zwischen Deutsch, Denglisch und Englisch. “Big applause” für das Betriebsergebnis, dann noch einmal für die “Frontend-Entwickler” und als Letztes “Applaus” für Alex. Der hat seine Lehre zum Heizungsinstallateur erfolgreich beendet.
Im Gegensatz zu Alex hat der 43-jährige Pausder nie so eine Lehre abgeschlossen. Aber der Zwei-Meter-Mann, der in Chino-Hose und T-Shirt auf der Bühne im Erdgeschoss des Firmengebäudes vor- und zurückläuft, als hätte er es sich bei Steve Jobs abgeguckt, hat sich trotzdem vorgenommen, die Heizungsbau-Branche umzukrempeln. Und er könnte Erfolg damit haben.